Finanzmärkte im Fokus

Simon Wyss
Leiter Fondsmanagement, CIO
simon.wyss@graffenried-bank.ch

Zweites Quartal 2020

«…mit Wumms…»

Die Finanzmärkte setzten ab Mitte März zu einer scharfen Gegenbewegung an, so dass die meisten Anlagekategorien seit Anfang Jahr nur noch ein moderates Minus aufweisen (Abb. 3). Beispielsweise erholte sich der als defensiv geltende Swiss Performance Index (SPI) seit seinem Tiefstand vom 16. März um über 30 %. Um die wirtschaftlichen Folgen der aufgrund der Pandemie staatlich verordneten Lockdowns zu mildern, initiierten die Regierungen in den wichtigsten Volkswirtschaften in Rekordzeit Stimulierungspakete noch nie dagewesenen Ausmasses. Sinnbildlich dafür stehen die Worte des deutschen Finanzministers Olaf Scholz: «Wir wollen mit Wumms aus der Krise kommen.» Basierend auf den Daten des Internationalen Währungsfonds summieren sich die nationalen Programme der EU-Mitgliedsländer und die EU-Massnahmen auf insgesamt über 3‘100 Milliarden Euro oder knapp ein Viertel (!) der jährlichen Wirtschaftsleistung aller EU-Länder. Auch in den USA wurde ein gigantisches Rettungspaket von über 3‘000 Milliarden US-Dollar in die Wege geleitet, was ungefähr 15 % der jährlichen Wirtschaftsleistung entspricht. In der Schweiz wurden bis anhin gut 70 Milliarden Schweizer Franken gesprochen, was ungefähr 10 % des Bruttoinlandprodukts bedeutet. Dabei handelt es sich allerdings nur bei knapp der Hälfte um direkte Ausgaben. Wie in anderen Ländern wurde auch hierzulande ein substanzieller Teil der Rettungsgelder in Form von Bürgschaften und Garantien gesprochen, und ist somit noch nicht ausgegeben. Die Regierungsausgaben fliessen hauptsächlich in die Gesundheitssysteme, Arbeitslosen- und Sozialversicherungen und in Direktzahlungen. Zudem führen angekündigte Steuererleichterungen zu Mindereinnahmen. Diese Konjunkturprogramme sollen also dafür sorgen, dass die durch die Coronakrise ausgelöste Rezession gemildert wird. Selbstverständlich wird dieser Mittelbedarf zu einer weiteren, markanten Erhöhung der Staatsverschuldungen führen.      

Zementierung des Tiefzinsumfelds                                                             

Ebenfalls zu massiven Interventionen griffen die Notenbanken. Um die Anleihenmärkte zu stabilisieren, pumpten sie mittels Rückkäufen massiv Geld ins Finanzsystem. So weitete die US-Notenbank Fed ihre Bilanz in knapp 3 Monaten um weitere 2‘500 Milliarden US-Dollar aus. Ebenfalls mittels Anleihenrückkaufprogramm aktiv ist die Europäische Zentralbank mit ihrem Pandemic Emergency Purchase Programme (PEPP). Grundsätzlich bleiben diese Programme solange aktiviert, wie es die Coronakrise erfordert. Zinserhöhungen sind damit in noch weitere Ferne gerückt und dürften frühestens Ende 2022 wieder in den Fokus gelangen. Wie zumeist in Krisensituationen wird der als sicherer Hafen geltende Schweizer Franken besonders stark nachgefragt. Zur Entlastung des Exportsektors intervenierte auch die Schweizerische Nationalbank (SNB) so vehement wie seit Aufgabe der Kursuntergrenze im Jahr 2015 nicht mehr und dürfte für ungefähr 75 Milliarden Schweizer Franken Euro und US-Dollar aufgekauft haben. 

Virusentwicklung: Entspannung, keine Entwarnung

Das Virusgeschehen entwickelte sich derweil weltweit unterschiedlich. Gerade in Europa führten die Regeln des Social Distancing zu rückläufigen Zahlen bei den Neuinfektionen. So gelang es, die Entwicklung unter Kontrolle zu bringen. Ebenfalls sorgt der medizinische Erkenntnisgewinn im Umgang mit dem Virus dafür, dass eine Überlastung der Gesundheitssysteme deutlich unwahrscheinlicher geworden ist. Dies erlaubte es den meisten Regierungen, ihre Massnahmen zur Viruseindämmung schrittweise zu lockern. Trotzdem wird die Coronakrise zum grössten Konjunktureinbruch seit der Weltwirtschaftskrise in den 1930er Jahren führen. Unterstützt durch die oben geschilderten geld- und fiskalpolitischen Stimulusprogramme, erholten sich die entwickelten Volkswirtschaften ausgehend von tiefen Niveaus und dürften somit die konjunkturelle Talsohle durchschritten haben. Unsicher bleibt indes der Pfad der Erholung, was sich mit der historischen Beispiellosigkeit der Krise und den dadurch fehlenden Vergleichsdaten begründen lässt.

In Bezug auf das Tempo der Erholung wird das Verhalten der Konsumenten nach den Lockerungen entscheidend sein. Erste Konjunkturzahlen aus Europa und den USA zeichnen diesbezüglich ein verhalten positives Bild. Jedoch wird sich das Virus bei Nichteinhaltung der Regeln des Social Distancing wieder rasend schnell ausbreiten. Partielle Lockdowns mit entsprechendem Einfluss auf die Wirtschaftsentwicklung sind die Folgen. Insofern kann die Krise als eingedämmt, jedoch keineswegs als überwunden eingestuft werden.

Heikle Rettungsaktionen

Ebenfalls langfristig beschäftigen werden die Finanzmärkte die Auswirkungen der staatlichen Rettungsaktionen. In Zeiten, in denen so manches allzu leicht mit dem Etikett «systemrelevant» versehen wird, besteht das Risiko, dass sich die Politik in private Angelegenheiten einmischt und damit die strukturellen Probleme von Unternehmen mit Steuergeldern – in Form von günstigen Krediten oder gar Zuschüssen – zupflastert. Dies führt zu sogenannten Zombiefirmen, die damit künstlich am Leben erhalten werden. Wettbewerbsverzerrungen, erschwerte Innovationen und tiefere Produktivität bei geringerem Wachstumspotenzial sind die Konsequenzen.

Profitierende Unternehmenssektoren

Daneben wirkte die Krise in einigen Sektoren als Beschleuniger struktureller Veränderungen. So verzeichnen Unternehmen aus dem US-Technologiebereich hohe Zuwachsraten. Dabei stehen die Papiere der Internetgiganten Microsoft, Apple, Amazon, Facebook und Alphabet (Google) im Fokus, die mittlerweile über 20 % der US-amerikanischen Marktkapitalisierung ausmachen. Weiter ruft eine Gesundheitskrise die Wichtigkeit des Pharmasektors in Erinnerung, insbesondere die Forschung zur raschen Entwicklung wirksamer Medikamente. Dabei spielt auch die Diagnostik eine zentrale Rolle. Entsprechend vermochten die Genussscheine des Basler Pharmamultis Roche in jüngster Vergangenheit mit einer starken Kursentwicklung zu überzeugen (Abb. 1). Insgesamt weist der Swiss Performance Index ein hohes Gewicht an defensiven und qualitativ hochstehenden Unternehmen auf. Anders präsentiert sich die Situation in der Eurozone, wo der EuroStoxx 50 Index stärker durch konjunkturabhängige Unternehmen geprägt ist. Generell widerspiegeln die börsenkotierten Gesellschaften die tatsächliche Wirtschaftsstruktur nur unvollständig. Diese ist in vielen Regionen sehr stark durch kleinere und mittlere Unternehmen geprägt, die von der aktuellen Krise überdurchschnittlich stark betroffen sind.

Entkoppelung von der Realwirtschaft

Damit lässt sich die Entkoppelung der Entwicklung an den Aktienmärkten von der Realwirtschaft zumindest teilweise erklären. Sollte jedoch der Konsument aufgrund der Krise sein Verhalten nachhaltig ändern, werden auch Aktien von Unternehmen wie Apple oder Amazon nicht vor Rückschlägen gefeit sein.

Angesichts des unsicheren Erholungspfads mit zahlreichen Einflussfaktoren halten wir an unserer neutralen Aktienquote fest. Wir gehen aufgrund der starken Entwicklung seit Mitte März von konsolidierenden Aktienmärkten aus, wobei Rückschläge Gelegenheit zur Investition in qualitativ gute Gesellschaften mit soliden Geschäftsmodellen bieten.

Abb. 1: Swiss Performance Index (SPI) seit 2010                                                    Quelle: Bloomberg 

Abb. 2: GR Fonds 01.01.2020–30.06.2020                                               Quelle: Bloomberg 

Abb. 3: Wertveränderungen 01.01.2020–31.03.2020                                                                                  Quelle: Bloomberg 

 

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