Blind, taub & stumm – Ein kritischer Blick auf das Jungunternehmer-Ideal
25.10.2023
Frauenmagazine sorgen für schlechte Laune. Wer mit 50 tatsächlich aussieht wie 50, ist bereits eine Versagerin. Schöner, straffer, schlanker, perfekter – unsere Hochglanz-Artgenossinnen strahlen um die Wette. Und alle verraten ihre kleinen Geheimnisse, vom richtigen Müesli zum Frühstück bis hin zum Yoga-Retreat – jede ist ihres eigenen Glückes Schmied.
In der Zeitung lese ich die Jungunternehmer-Portraits fast immer. Das Ergebnis ist ähnlich wie beim Frauenmagazin. Diese hippen, innovativen Menschen investieren in ihre rosige Zukunft, expandieren mühelos und kennen scheinbar keine Verlust -oder Versagensängste. Sie versprühen positive Energie und strotzen vor Selbstvertrauen.
Den Journalisten fehlt in vielen Fällen eine gesunde, kritische Distanz. Damit die Story auch richtig sexy rüberkommt, werden die Umsatzzahlen nicht selten ein bisschen frisiert – ich kenne das aus eigener Erfahrung. Auch ich war einmal eine Jungunternehmerin und Teil von solchen Stories.
Doch die Jugend verfliegt irgendwann und aus Unbeschwertheit wird Verantwortung. Zwischen dem Jungunternehmer und dem Unternehmer liegt das Tal der Tränen. Was sich leicht angefühlt hat wird plötzlich schwer, aus der Agilität der Anfänge wird mit der Zeit Trägheit. Wer Mitarbeiter führen will, braucht Strukturen, Menschenkenntnisse und starke Nerven. Und die Professionalisierung braucht Geld, das man zuerst verdienen muss und Zeit, die man nicht hat.
Unternehmerin zu werden heisst auch, scheitern lernen. Am Anfang ist man blind, taub und stumm gleichzeitig. Blind, weil man die Probleme nicht kommen sieht. Taub, weil man die weisen Stimmen nicht hört, die einem warnen möchten und stumm, weil nicht formuliert wird, was man möchte und wohin man gehen will.
Seit 2007 bin ich zusammen mit meinem Mann selbständig. Wir haben direkt ab ETH eine eigene Firma gegründet. Es gab eine Zeit, da lag unser Kontostand mit allem Ersparten noch bei Fr. 4000.-, der Rest war im Geschäft investiert. Es gab eine Zeit, da stand ich mit dem Kind auf dem Rücken in unserer Mini-Profiküche in Bern Wankdorf und kochte Weihnachtsmenüs für unsere Kunden. Es gab eine Zeit, da wurde von einem Mitarbeiter eine Meuterei angezettelt und die Hälfte der Belegschaft verliess auf einen Schlag den Betrieb - mein persönliches Waterloo, quasi.
Doch wo Schatten ist, gibt es auch Licht. Selbstverständlich durften wir auch grosse Erfolge feiern und unser Ding machen, verrückte Ideen zum Fliegen bringen und die Privilegien der Selbstständigkeit geniessen.
Aber zu einseitig und klischiert sollte der Blick nicht sein. Ob angestellt oder selbständig ist vielleicht sogar zweitrangig – viel wichtiger ist, dass man bei seiner Tätigkeit heranreift und lernt, immer besser mit den harten Realitäten umzugehen. Das erfordert stetige Reflexion, denn nur so kann sich die Persönlichkeit entwickeln. Als Unternehmerin bin ich etwas mehr gezwungen an mir selbst zu arbeiten. Als Arbeitnehmer hat man mindestens auch die Möglichkeit, kurzfristig den Job zu wechseln.
Spätestens seit der grossen Pandemie fühle ich mich nicht mehr als Jungunternehmerin. Mir ist klar geworden, wie der Betrieb wachsen soll, welche Mitarbeiter zu uns passen und auch, dass ich nicht alles auf eine Karte (Firma) setzen möchte.
Als zweites Standbein biete ich gemeinsam mit meinem Mann Beratungen im Lebensmittel-Bereich an. Als Lebensmittel-Ingenieure ETH bringen wir auch das theoretische Fachwissen für Produkteentwicklungen oder Prozessbegleitungen in Firmen mit. Die ersten Aufträge durften wir für ein Altersheim in der Region bereits umsetzen.
Das dritte Standbein ist eine neue Plattform für Firmengeschenke, die wir mit Geschäftspartnern gegründet haben. Nach vielen Jahren Aufbau fühle ich mich zum ersten Mal wieder freier, ungebundener, positiver, innovativer – ganz wie zu Beginn und fast so wie eine Jungunternehmerin, aber eben nicht ganz. Dazwischen liegt das Tal der Tränen.
Susanne Schanz
Dipl. LM-Ing. ETH, Geschäftsleiterin
Gourmetbox GmbH
Freiburgstrasse 453
CH-3018 Bern
Tel. +41 (0)31 318 15 15
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